Krankentagegeldversicherung

Arbeitunfähigkeit muss nur bezogen auf den konkreten Arbeitsplatz vorliegen. Erkrankt der Versicherungsnehmer aufgrund einer Mobbingsituation an seinem Arbeitsplatz ist dies für den Bezug von Krankentagegeld ausreichend. Es spielt keine Rolle, dass der Versicherungsnehmer seinen Beruf bei einem anderen Arbeitgeber ausüben könnte.

23 0 364/14

Verkündet am 14.12.2016

Landgericht Köln

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil

In dem Rechtsstreit

des Herrn **** Köln,

Klägers.

Prozessbevollmächtigter:                              Rechtsanwalt Brandl, Neusser Straße 182. 50733 Köln,

gegen

die *** Krankenversicherung , vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden

Beklagte,

Prozessbevollmächtigte: Rechstanwälte ***

hat die 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16.11.2016

durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und den Richter am Landgericht

für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.280.00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.07.2014 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571.44 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger unterhält bei der Beklagten neben einer Krankheitskostenvollversicherung eine Krankentagegeldversicherung nach dem Tarif ESP-VS 43/110, mit der ein Krankentagegeld in Höhe von 110.00 € ab dem 43. Tag bedingungsgemäßer arbeitsunfähig versichert ist. Der Kläger war seit dem 15.01.2012 bei der *** Bank als angestellter Vermögensberater beschäftigt, wobei seine berufliche Tätigkeit insbesondere Kundengespräche am Telefon und persönliche Gespräche mit Kunden sowie Arbeiten am PC umfasste. Seit dem 07.11.2013 war der Kläger wegen psychischen Erkrankungen arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Beklagte leistete daraufhin zunächst das vereinbarte Krankentagegeld. Nachdem der Vertrauensarzt der Beklagten aufgrund einer Untersuchung des Klägers am 15.04.2014 zum Ergebnis gelangte, der Kläger sei wieder arbeitsfähig, stellte die Beklagte die Zahlung des Krankentagegeldes zum 15.04.2014 ein und teilte dies dem Kläger mit Schreiben vom 25.04.2014 mit. Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 21.06.2014 wurde die Beklagte zur Zahlung des Krankentagegeldes für den streitgegenständlichen Zeitraum unter Fristsetzung zum 04.07.2014 aufgefordert. Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der *** Bank wurde einvernehmlich zum 31.08.2014 beendet. Seit dem 01.09.2014 ist der Kläger bei der **** Bank angestellt.

Der Kläger behauptet, er sei auch in der Zeit vom 16.04.2014 bis zum 03.06.2014 arbeitsunfähig gewesen. Er habe auch in dieser Zeit unter Anpassungsstörungen. mittelgradigen depressive Episoden, Spannungskopfschmerzen und einer somatoformen Schmerzstörung gelitten.

Er beantragt,

1.  die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag von 5.280,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.07.2014 zu zahlen;

2.  die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum. Sie ist der Ansicht, der Annahme bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit stehe schon entgegen, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum in der Lage war, 2 bis 3 Bewerbungsschreiben pro Tag zu erstellen und zu versenden. Gegen eine vollständige Arbeitsunfähigkeit spreche zudem die geringe Dosierung des Antidepressivums Amitriptylin.

Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 13.03.2015 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. *** vom 21.12.2015, seine ergänzende Stellungnahme vom 12.07.2016 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2016 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 5.280,00 € aus dem zwischen den Parteien bestehenden Krankenversicherungsvertrag i.V.m. §§ 192 VVG, 1 Abs. 1 und 2 AVB. Die Beklagte ist danach verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum vom 16.04.2014 bis zum 03.06.2014 das vereinbarte Krankentagegeld in Höhe von kalendertäglich 100,00 € zu zahlen.

Nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AVB besteht Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit als Folge einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Arbeitsunfähigkeit liegt nach § 1 Abs. 3 AVB vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht. Nach ständiger Rechtsprechung ist danach eine vollständige, d.h. hundertprozentige Arbeitsunfähigkeit erforderlich (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 18.02.2005, Az. 5 U 1/07). Beurteilungsmaßstab ist dabei die konkrete berufliche Tätigkeit der versicherten Person bei Eintritt des Versicherungsfalls (vgl. BGH, NJW-RR 2007, 1624. 1625). Das Vorliegen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Eintritts eines Versicherungsfalls ist vom Versicherungsnehmer zu beweisen (vgl. BGH NJW-RR 2000, 1414; VersR 2013. 848: OLG Köln VersR 2008, 912).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Maßstab für die Prüfung der Arbeitsunfähigkeit der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung (vgl. BGH, Urteil vom 09. März 2011, Az.: IV ZR 52/08). Daher kann der Versicherte auch dann arbeitsunfähig im Sinne von § 1 Abs. 3 MB/KT sein, wenn die seine Erkrankung auslösenden Umstände mit seinem bisherigen Arbeitsplatz zusammenhängen. Entscheidend ist, dass der Versicherte aufgrund seiner Erkrankung seinen bisher ausgeübten beruflichen Tätigkeit in der konkreten Ausgestaltung nicht nachgehen kann. Die Arbeitsunfähigkeit entfällt nicht deshalb, weil der Versicherte bei Bereinigung der Konfliktsituation an seinem konkreten Arbeitsplatz oder durch einen Wechsel seines Arbeitsplatzes wieder arbeitsfähig wäre (vgl. BGH, a.a.O.).

Gemessen an diesen Grundsätzen war der Kläger in der Zeit vom 16.04.2014 bis zum 03.06.2014 vollständig arbeitsunfähig im Sinne des § 1 Abs. 3 AVB. Die Kammer ist unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt. dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum seine bisherige berufliche Tätigkeit in ihrer konkreten Ausprägung in keiner Weise ausüben konnte. Die Kammer stützt sich

dabei auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. *** vom 21.12.2015. Der Sachverständige ist auf der Grundlage der Untersuchung des Klägers sowie der Auswertung der Krankenunterlagen in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass eine vollständige Arbeitsunfähigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum vorlag. Nach Auffassung des Sachverständigen lag beim Kläger eine Anpassungsstörung aufgrund psychosozialer Belastungen an der Arbeitsstelle vor, die im Zeitraum von November 2013 bis Juli 2014 in funktions- und alltagsrelevantem Ausmaß bestand und Arbeitsunfähigkeit bedingte. Es habe eine depressiv-ängstlich Symptomatik in inhaltlichem und zeitlichem Zusammenhang zu einer Änderung der psychosozialen Bedingungen an der Arbeitsstelle bestanden. Trotz der symptomatischen Besserung in den Monaten März bis April 2014 habe auch anschließend wegen der Gefahr einer erneuten gesundheitlichen Verschlechterung der seelischen Gesundheit Arbeitsunfähigkeit bestanden. Nach Auffassung des Sachverständigen sei es nachvollziehbar, dass sich die psychische Gesundheit des Probanden durch eine Rückkehr an die als belastend erlebte Arbeitsstelle erneut und eventuell auch nachhaltig verschlechtert hätte. Erst mit Zusage einer neuen Arbeitsstelle und Freistellung durch den vorherigen Arbeitgeber, also der Beseitigung des krankheitsverursachenden Faktors, habe eine ausreichende Stabilität der Beschwerden und eine Wiederherstellung der psychischen Gesundheit erreicht werden können.

Den Einwendungen der Beklagten ist der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.07.2016 überzeugend entgegengetreten. Der Sachverständige hat darin auch klargestellt, dass neben seinen Mitarbeitern PD Dr. *** und Dr. *** auch er persönlich den Kläger untersucht habe; ihm habe überdies die Beantwortung der Gutachtenfrage für die Abfassung des Gutachtens und die Durchsicht, Korrektur und Ergänzung des erstellten Gutachtens oblegen. Der Sachverständige hat ferner mitgeteilt, dass der Gutachtenerstellung die Krankschreibungen des Hausarztes und die in der Akte befindliche fachärztliche Stellungnahme des behandelnden Facharztes für Psychiatrie zugrunde lagen; telefonisch seien noch ergänzende Angaben eingeholt worden. Soweit die Beklagte vorträgt. die niedrige Dosierung des Antidepressivums Amitriptylin stünde der Annahme einer Arbeitsunfähigkeit entgegen, hat der Sachverständige klargestellt, dass dieses Medikament zur symptomatischen Behandlung auch in niedriger Dosierung eingesetzt werden könne, zumal die Diagnose einer Arbeitsunfähigkeit begründenden Anpassungsstörung nicht zwangsläufig eine Medikation erforderlich mache. Er hat ferner bekräftigt, dass angesichts der Gefahr, dass unter erneuter

Belastung mit dem spezifischen „Stressor“ — hier mit Rückkehr an denselben Arbeitsplatz — die Symptomatik erneut wiederaufflammt, eine Arbeitsunfähigkeit zur Verhütung abträglicher Gesundheitsfolgen bestand.

Die Kammer folgt den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. *** ist gut begründet, verständlich und in sich schlüssig. Der Sachverständige setzt sich umfassend mit den zur Verfügung stehenden Behandlungsunterlagen auseinander und wertet diese vollständig aus. An der Qualifikation und Fachkunde des Sachverständigen, der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums ist, bestehen keine Zweifel.

Ferner hat der insoweit im Einvernehmen mit den Parteien zum Sachverständigen bestellte Priv.-Doz. Dr. *** in seiner mündlichen Anhörung am 16.11.2016 überzeugend dargelegt, dass eine temporäre Rückkehr des Klägers an seinen bisherigen Arbeitsplatz nach Zusage der neuen Arbeitsstelle zwar ein denkbares Therapiekonzept gewesen sei, diese Möglichkeit ausweislich der vorliegenden Dokumentation im konkreten Fall allerdings nicht in Betracht kam, da die Gefahr eines Wiederauflebens der psychischen Beschwerden bestand. Auf die Rüge der Beklagten, die Diagnose einer Anpassungsstörung könne längstens für einen — hier überschrittenen — Zeitraum von sechs Monaten gestellt werden, hat der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. *** nachvollziehbar klargestellt, dass diese Ausführung nur für den Fall gelte, dass die Konfliktsituation bis dahin auch gelöst sei und es sich im Übrigen bei den genannten sechs Monaten lediglich um einen Mittelwert handele. Auch der Umstand. dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum in der Lage war. 40 bis 50 Bewerbungen zu schreiben, steht nach Auffassung des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. *** dem Vorliegen eines psychischen Beschwerdebildes nicht entgegen und lasse überdies nicht zwingend darauf schließen, dass der Kläger ohne Gefahren für seinen Gesundheitszustand zum bisherigen Arbeitsplatz zurückkehren könne. Ohnehin ist nach der bereits dargelegten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit schon aus Rechtsgründen unerheblich, dass der Kläger außerhalb seiner Arbeitsstelle in der Lage war, beruflichen Tätigkeiten nachzugehen.

  1. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
  2. Der Kläger hat gegen die Beklagte unter Zugrundlegung eines Gegenstandswertes von 5.280 00 € und einer hier angemessenen Geschäftsgebühr von 1,3 ferner Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € aus Verzug, §§ 280 Abs. 1 und 2. § 286 Abs. 1 BGB.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 5.280,00 € festgesetzt